Firmengründung im Oktober 1992

Der Kalender zeigte Donnerstag, 22. Oktober 1992 an, als ich in die Selbständigkeit startete. Ein erfahrener Unternehmer hätte meinen Start als «Russisches Roulette mit 6 Kugeln» beschrieben, denn hatte ich weder Produkte noch Kunden. Aufgrund meiner langjährigen Aussendiensterfahrungen in den hart umkämpften Märkten von Nord- und Südamerika war ich felsenfest davon überzeugt, dass jeder Verkäufer von meinen Erfahrungen lernen konnte, so er denn dazu bereit wäre.

Kann jeder ein wirklich guter Verkäufer werden?

Mein Freund und Mentor Heinz Goldmann (1919 – 2005), der Mitbegründer der Mercuri International Group, schrieb in seinem Besteller «Wie man Kunden gewinnt» zu dieser Frage: Ein Verkäufer muss sich wohl dabei fühlen, viele Menschen aufzusuchen, die wenig oder gar nicht davon begeistert sind, ihn anzuhören, um dann die gleichen Menschen dennoch von einem Bedürfnis zu überzeugen, dessen sie sich meistens nicht bewusst sind und für das sie in der Regel kein Geld ausgeben wollen. Zudem muss der Verkäufer geschickt, freundlich und doch energisch und zäh genug sein, sich in einer Weise Gehör zu verschaffen, die den „Gesprächspartner wider Willen“ nicht bereuen lässt, zugehört zu haben. Dieses Ziel, diese erste Etappe zum Verkaufserfolg, gilt es nicht nur einmal, sondern unzählige Male Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr zu erreichen.

Der Not gehorchend begann ich vor 30 Jahren eigene Trainingsmodule zu entwickeln. Dabei fand mich mein Credo, dem ich in all den Jahrzehnten treu geblieben bin und von dessen Gültigkeit ich mehr denn je überzeugt bin: «Wenn Sie dafür sorgen, dass der Kunde seine Ziele erreicht, dann sorgt der Kunde dafür, dass Sie Ihre Ziel erreichen.»

Den Löwenanteil meines Erfolges verdanke ich den Kunden. Sie schenkten mir Ihr Vertrauen. Gemeinsam sorgten wir dafür, dass beide Seiten ihre Ziele erreichten. Ihnen gebührt mein tief empfundener Dank. Ein potenzieller Kunde soll zu meinem 30-jährigen Jubiläum, zu Wort kommen.

Lieber Verkäufer,

ich habe nur ein paar Minuten Zeit. Ich habe gehört, dass Sie mir etwas verkaufen wollen.

Sie haben keine Ahnung, wie mein Alltag aussieht. Das vermuten Sie zwar, doch in Tat und Wahrheit haben Sie keinen blassen Dunst. Das sollten Sie aber, wenn Sie mir etwas verkaufen wollen.

Heute Morgen bin ich sehr früh ins Büro gekommen, um in Ruhe an einem Projekt zu arbeiten. Schon um 9:00 Uhr wurden alle meine guten Vorsätze zunichte gemacht, als mein Chef mich bat, alles stehen und liegen zu lassen, um einen Plan zum Personalabbau zu erstellen. Der Umsatz ist im letzten Quartal eingebrochen und wir müssen Kosten senken.

Dann teilte mir die Montageabteilung mit, dass unsere neue Maschine auf der kommenden Messe nicht ausgestellt werden kann. Der Verkauf wird ausflippen, wenn er das hört. Verstehen Sie, was ich meine?

Willkommen in meiner Welt des alltäglichen Chaos, in der ich mich bemühe, Fortschritte zu machen, doch immer weiter zurückfalle. Im Moment stapeln sich geschätzte 60 Stunden Arbeit auf meinem Schreibtisch. Ich habe keine Ahnung, wann ich das alles schaffen soll.

Habe ich schon die E-Mails erwähnt? Ich bekomme jeden Tag über 120 Stück davon. Dazu kommen noch 5 Anrufe von Verkäufern wie Ihnen, die sich „gerne mit mir treffen würden“.

Zeit ist mein kostbarstes Gut. Ich schütze sie um jeden Preis. Ich lebe mit dem Status quo, solange ich kann – auch wenn ich damit nicht glücklich bin. Womit wir wieder bei Ihnen wären. Bei Ihren gut gemeinten, aber fehlgeleiteten Versuchen, mich zu einem Kunden zu machen. Dabei versagen Sie kläglich, wenn es darum geht, meine Aufmerksamkeit zu gewinnen und zu behalten. Um es ganz offen zu sagen: Ihre Produkte, Ihre Dienstleistungen oder Ihre verschiedenen Lösungsvarianten interessieren mich überhaupt nicht!

Ich überfliege ihre E-Mails schnell auf der Suche nach Eigenwerbung, die ihr Angebot oder ihr Unternehmen verherrlichen. Sobald mir etwas auffällt, sind Sie weg. Ich lösche sie aus meinem Posteingang oder werfe sie in den Mülleimer. Das Gleiche gilt für Ihre langweiligen Sprachnachrichten. Die lösche ich sofort.

Wenn Sie ein Meeting dazu nutzen, über einzigartige Methoden, grossartige Technologien oder einen aussergewöhnlichen Service zu prahlen, schweifen meine Gedanken zu wichtigen Aufgaben ab, die erledigt werden müssen. Klar, ich schaue sogar gelegentlich auf dem Smartphone nach Nachrichten, während Sie sprechen. Das würden Sie auch tun, wenn Sie an meiner Stelle wären.

Gelegentlich erregt ein Verkäufer meine Aufmerksamkeit, lockt mich zu einem Treffen, zeigt mir, warum ich wechseln sollte, und macht es mir dann leicht, mit ihm zusammenzu-arbeiten.

Wie macht er das? Er konzentriert sich voll und ganz auf mein Geschäft und den Einfluss, den sein Unternehmen mit seinen Leistungen haben kann. Das ist es, was mich interessiert – nicht sein Pitch.

Wenn Sie sich darauf konzentrieren, mir zu helfen, meine Ziele zu erreichen, werde ich Ihnen den ganzen Tag lang zuhören. Aber Sie können mich nicht mit guten Argumenten ködern, um dann wieder ins Gerede zu verfallen. Wenn Sie das tun, sind Sie out. Für lange Zeit.

Verstehen Sie das? Ich hoffe es, denn ich bin spät dran für ein Meeting und während ich dies schreibe, klingelt das Telefon ununterbrochen.

Mit freundlichen Grüssen
Ihr potenzieller Kunde