Den Aussendienst richtig motivieren

Die Kunst des Verkaufens hat eine lange Tradition in den USA. Die Connecticut Yankees, in New England als Handelskaufleute berühmt geworden, schleppten Zinntöpfe und Wanduhren zu entlegenen Bauernhöfen. Chevrolet-Händler klingelten bei ihren Werbekampagnen in den 20er Jahren an nahezu jeder Tür, um Ford zu überrunden. Geschichten von Verkäufern und deren Heldentaten werden oft erzählt, über die Arbeit der Verkaufsleiter wird weitaus seltener berichtet. Sie waren es, die im späten 19. Jahrhundert das Land in Verkaufsregionen einteilten, Quoten und Provisionssätze zuordneten und ihren Aussendienst mit Produktbeschreibungen und -daten unterstützten. Sie zählten Kundenkontakte, die Zahl verkaufter Produkte und den Umsatz, um den Erfolg ihrer Mitarbeiter zu bewerten. Die erfolgreichsten Verkaufsleiter bieten ihrem Aussendienst darüber hinaus Inspiration, Enthusiasmus und eine effektive Verkaufsbotschaft. Verkäufern etwas zu verkaufen, sie durch eine klare Mission zu motivieren, erweist sich oft als härter, als das Produkt selbst zu verkaufen. Aber das Ergebnis dieser Bemühungen ist es wert: Die Mitarbeiterfluktuation bleibt niedrig und die Leistung hoch.

Einer der frühen Meister der Motivation war John H. Patterson, der 1884 den Registrierkassenhersteller NCR National Cash Register gründete. Patterson war fest entschlossen, eine Gruppe von Verkäufern zu formieren, die nichts mehr mit Hausierern und Handlungsreisenden gemein hatten. Er drängte seine Verkäufer dazu, gute Anzüge zu tragen und in den besten Hotels zu logieren. Er hielt ihnen Vorträge über gesunde Lebens-weise und gute Umgangsformen. Schliesslich vermittelte er ihnen eine solide Ausbildung im Umgang mit dem zu verkaufenden Produkt.

Ab 1906 durften Verkäufer, deren Quoten stimmten, dem renommierten Hundert-Punkte-Club des Unternehmens beitreten. Dessen Mitglieder belohnte Patterson mit einer Reise zum NCR-Hauptsitz und 150 Dollar in Gold. Dieses jährliche Treffen dauerte eine Woche und beinhaltete Vorträge von Patterson und anderen Managern. Die „Hundertpunkter“ wurden mit Flaggen und Postern begrüsst und von Tausenden NCR-Mitarbeitern bejubelt. Patterson probierte noch mehr aus: Er versuchte die Ehefrauen der Verkäufer für seine Zwecke einzuspannen. Bei Wettbewerben traten die Aussendienstler im Wettstreit um Esstische oder chinesisches Geschirr gegeneinander an. Er lud die Frauen zu Theateraufführungen und Vorträgen in die Fabrik ein. Auf Listen an den Wänden stand, wie die Frauen ihre Männer unterstützen konnten: „Servieren Sie einfache, gut zubereitete Gerichte“, „Sorgen Sie dafür, dass er genug Schlaf bekommt“ und „Interessieren Sie sich ernsthaft für seine Verkaufszahlen.“

Der beste Weg, seine Verkäufer zu motivieren, sei jedoch ein Arsenal hilfreicher Verkaufsargumente.

Und so weihte Patterson 1894 eine der ersten, unternehmensgeführten Verkäuferschulen in den USA ein. Der Einführungskurs dauerte sechs Wochen und umfasste Grundlagen der Buchführung im Einzelhandel und Methoden, ein Produkt zu präsentieren. Als die Schule grösser wurde, ergänzte Patterson sie um Nachbauten eines Lebensmittelladens und einer Metzgerei. Die angehenden Verkäufer sollten den Ladenbesitzern erklären, warum sie eine Registrierkasse kaufen sollten und worin sich die NCR-Kasse von ihren meist billigeren Konkurrenten unterschied. Patterson war seiner Zeit voraus, indem er erkannte, dass der Schlüssel zur Kunst des Verkaufens nicht im Verkauf von Waren lag, sondern im Verkauf von Problemlösungen. NCR-Verkäufer durften ein Produkt niemals beim ersten Anruf anpreisen, sondern mussten erst fragen, wie der Ladenbesitzer seine Rechnungen verwaltete und den Überblick über sein Inventar behielt. Über die Kasse liesse sich auch beim zweiten Anruf reden. Die erfolglosesten Vertreter waren laut Patterson die, die annahmen, sie hätten dem Kunden nichts Vernünftiges anzubieten, oder diejenigen, die glaubten, sie müssten sich ganz auf ihre Persönlichkeit verlassen, um ein Geschäft abzuschliessen. Er war der Ansicht, es sei besser, herauszufinden, was der Kunde braucht. Patterson war fanatisch und autokratisch. Aber sein Verkaufsansatz war ungeheuer einflussreich. Eine bemerkenswerte Zahl von Ex-NCR-Mitarbeitern stieg in anderen Unternehmen zu Führungskräften auf, etwa Charles F. Kettering und Richard H. Grant von General Motors und Thomas Watson Senior, der Gründer von IBM. Die in blaue Anzüge gekleideten IBM-Aussendienstler verdankten den frühen NCR-Verkaufsstrategien eine Menge.

Seit John Pattersons Lebzeiten (er starb 1922) hat sich viel verändert. Doch Führungskräfte, die andere begeistern können, sind für ein Verkaufsteam heute ebenso entscheidend wie damals. Das ist eine Botschaft, die Steve Ballmer, CEO von Microsoft und Sohn eines Schweizer Einwanderers, sehr gut versteht: Während einer seiner Motivationsreden vor seinen Verkaufsmitarbeitern liess er sich derart hinreissen, dass ihm ein Stimmband riss. Auch IBM beherzigt diese Lehren: 2003 erweckte das Management die jährlichen Hundert-Prozent-Club-Feiern nach 13 Jahren Pause zu neuem Leben. Wenn der Aussendienst den Eindruck hat, sein Produkt sei nur schwer von dem des Wettbewerbs zu unterscheiden oder die Verkaufsaussage sei unklar, nützt Ermunterung nichts. Pattersons Technik mag antiquiert erscheinen, aber seine Strategie ist heute mehr denn je von Bedeutung: Liefern Sie Anfängern im Vertrieb gute Verkaufsargumente, und arbeiten Sie mit alten Hasen zusammen, um Ihre Verkaufsbotschaften auf dem neuesten Stand zu halten. Und feuern Sie Ihre Mitarbeiter mit allem an, was Sie haben!

Quelle: Friedman, W.A.: Birth of a Salesmen, The Transformation of Selling in America