Das süsse Gift eines prallen Terminkalenders

Das süsse Gift eines prallen Terminkalenders

Kommen zwei Menschen zusammen, nennt man das eine Begegnung, ein Treffen, vielleicht ein Rendez-vous. Kommen zwei Büromenschen zusammen, haben sie ein Meeting – und sie führen kein Gespräch, sondern sie haben eine Besprechung. „Herr Koch ist in einer Besprechung“, vertröstet die Sekretärin den Anrufer, der mit ihm einen Termin koordinieren wollte. Das ist Alltag.

Komplexer sind jene Termine, die erst angebahnt werden müssen. Da scheut der Wissensarbeiter keinen Aufwand. Über viele Kanäle sucht er Zugang zu Leuten, die bestens zugänglich wären. Bei Bekannten fragt er nach der Telefonnummer, die im Telefonbuch steht. In Wahrheit hofft er, auf jemanden zu stossen, der ihn bei der Zielperson empfehlen wird, um schneller und besser empfangen zu werden.

Wer einen Termin unbedingt braucht, sucht wie ein Bergsteiger nach dem kürzesten und deshalb schwierigsten Weg über alle Hindernisse hinweg, die da sind: die Assistentin, der volle Terminkalender, die Überheblichkeit gefragter Termingeber und der Umstand, dass sie nur zusagen, wenn sie sich vom Kontakt Vorteile versprechen. Sobald Geld winkt oder persönliche Beziehungen wirken, ist Freundlichkeit angesagt, und im Nu steht der Termin. Andernfalls lässt er sich leider nicht einrichten.

Der Jargon der Terminmacher ist gerade deshalb so kühl, weil vergebliches Bitten eine hoch emotionale Sache ist. Statt höflich abzusagen, schweigen viele Angefragte. Den Bittsteller lassen sie schmoren, leiden, ins Leere laufen. Das ist die geschäftsmässige Art, Nein zu sagen. Will aber ein guter Kunde besucht werden, ist die Terminfrage gar keine Frage – als wären lauter weisse Seiten in der Agenda. Morgen? Übermorgen? Gern! Um wie viel Uhr würde es Ihnen passen, Herr Huber?

Schon an der Stimme der Assistentin lassen sich wichtige und lästige Termine unterscheiden. Sie schützt den Chef, indem sie seinen prallen Terminkalender wie einen Riegel vorschiebt. Doch das ist eine Arbeitslüge.

Ob das Treffen zu Stande kommt, hängt weniger vom Pensum als von den Prioritäten ab. Eine gut geführte Agenda ist nichts anderes als eine Prioritätenordnung. Denn es gilt: Je zahlreicher, desto schlechter die Besprechungen. Bei manchem Manager nämlich ersetzen die Termine das Denken: Terminsucht als Denkflucht. Der Chef ist zwar beschäftigt, aber er arbeitet nicht – wegen der Termine.

Weil der Homo sapiens sowohl das Denken als auch das Arbeiten hasst, macht er noch mehr Termine. So mag Herr Koch täglich ein Dutzend Treffen abspulen, doch daraus werden gewiss nicht Gespräche, die diesen Namen verdienen. Bei jedem neuen Besucher ist der Manager in seinen Gedanken noch beim vorangegangenen oder bereits beim nächstfolgenden Termin – und mimt Aufmerksamkeit.

Jeder kennt derlei Besprechungen, die des guten Gewissens wegen stattfinden. Bei diesen so genannten Pflichtterminen trifft der Büromensch andere Büromenschen, die er nicht treffen will, um über Dinge zu reden, über die er nicht reden möchte. Diese Art von Terminen macht selbst vor der Mittagspause nicht halt. Business-Lunch nennen Managern den Trick, zwecks Zeitersparnis die Mittagspause so zu nutzen, dass auch der Nachmittag verloren ist!

Viele sind an einer Überdosis Pflichttermine zu Grunde gegangen. Terminwut kann tödlich sein. Einst war es das Vorrecht der Adligen gewesen, nichts zu tun. Heute aber ist es das wichtigste Statussymbol, zu viel zu tun. Wessen Agenda leer ist, der hat nicht etwa Glück, sondern Pech. Im schlimmsten Fall gesteht er verschämt, er habe noch ein paar Termine frei. Damit gibt er sich als Underdog zu erkennen.

Erfolgreich ist, wer keine Zeit für sich hat. Angesehen sind diejenigen, die von Termin zu Termin und auf den Flughäfen von Terminal zu Terminal hetzen. Seit der westliche Mensch nicht länger von Despoten unterdrückt wird, setzt er sich selbst unter Zwang: Die Tyrannei des Termindrucks liebt er, auch wenn er selbst dabei untergeht.