Nur vom Nutzen wird die Welt regiert

Meiner Erfahrung nach richten sich Marketingmanager im B2B-Geschäft häufig unbewusst nach den Lehrbuchweisheiten des Konsumgütermarketings. Doch das Geschäft mit Industriegütern stellt ganz andere Anforderungen an das Management. Auf Käuferseite haben die beteiligten Entscheidungsträger meist unterschiedliche Interessen. Der Verkäufer muss zwingend jedem an der Entscheidung Beteiligten die für ihn relevanten Vorteile des Angebots vermitteln, sonst ist der Misserfolg vorprogrammiert.

Manager machen sich selten – wenn überhaupt – die Mühe, ihren potenziellen Kunden alle ökonomischen, technischen, servicerelevanten und sozialen Vorteile nahe zu bringen, die die Produkte und Dienstleistungen ihres Unternehmens bieten. Die meisten Verkäufer gehen schlicht davon aus, dass die Käufer den Wert der Produkte und Dienstleistungen schon richtig einschätzen. Das ist eine vernünftige Annahme – nur ist sie völlig falsch! Ich bin der dezidierten Auffassung, dass sich Firmenkunden keineswegs hinreichend mit allen Produkten und Dienstleistungen befassen, die sie in Anspruch nehmen, deshalb können sie den Wert vieler Vorteile nicht quantifizieren.

In Seminaren unterstütze ich Führungskräfte und Verkäufer dabei, den Wert ihrer Produkte für die Kunden einzuschätzen, in dem wir die Nutzen der Produkte und Dienstleistungen vier Wertkategorien zuteilen (vgl. Backhaus, K.; Voeth M.: Industriegütermarketing, 8. Auflage, Vahlen 2007):

Greifbare finanzielle Vorteile

Diese haben einen Wert, den die Verkäufer kommunizieren und den die Käufer nachvollziehen können. So beweist ein Lastwagenhersteller anhand branchenüblicher technischer Daten wie Leistung und Drehmoment, dass seine Motoren stärker sind als die der Konkurrenz. Speditionen können sich ausrechnen, wie viel Geld sie sparen, wenn sie diese Fahrzeuge einsetzen, um grössere Ladungen schneller zu transportieren. Die Verantwortlichen im Industriegütermarketing heben häufig nur den greifbaren finanziellen Nutzen hervor, weil die potenziellen Kunden diesen leicht erfassen und prüfen können, bevor sie das Produkt kaufen. Doch diese Art von Vorteilen kann die Konkurrenz ebenso gut anbieten. Wer sich auf diese Art von Wettbewerb einlässt, führt früher oder später einen Preiskrieg.

Nicht greifbare finanzielle Vorteile

Diese haben einen Wert, den die Verkäufer zwar vermitteln, den die Käufer hingegen nicht ohne weiteres nachvollziehen können. Die Verkäufer eines Anbieters von Sales Automation-Software behaupteten potenziellen Kunden gegenüber, sie seien in der Lage, ihnen ganz genau vorzurechnen, wie viel zusätzliche Erlöse sie erzielen könnten, würden sie das Softwarepaket anwenden. Die meisten der so umworbenen Kunden reagierten verständlicherweise skeptisch. Nicht direkt greifbare finanzielle Vorteile können aber sehr wirkungsvoll sein, um das eigene Unternehmen von anderen Anbietern industrieller Güter oder Dienstleistungen abzugrenzen.

Anbieter können potenzielle Kunden indirekt vom Wert nicht direkt messbarer finanzieller Vorteile überzeugen. Zum Beispiel können sie Studien unabhängiger Organisationen heranziehen, um die Skepsis der potenziellen Kunden auszuräumen. Oder sie führen Pilotprojekte bei potenziellen Kunden durch. Machten Kunden erst einmal selbst die Erfahrung, wie viel sie durch solche Projekte einsparen konnten, entschlossen sie sich leichter zum Kauf. Ausserdem können Anbieter den Kunden zusichern, den Kaufbetrag zurückzuerstatten, wenn ihre Produkte nicht das leisten, was sie versprochen haben.

Greifbare nicht-finanzielle Vorteile

Mancher Nutzen ist für die Verkäufer nur schwer zu quantifizieren, aber die Käufer können ihn durchaus erkennen. Vor Jahrzehnten versprach IBM: Noch nie wurde jemand entlassen, weil er einen IBM-Rechner gekauft hat. Doch Big Blue gelang es nicht, anhand von bezifferbaren finanziellen Messgrössen zu belegen, warum die Anschaffung für die Kunden von Vorteil ist.

Greifbare nicht finanzielle Werte zu schaffen, zum Beispiel eine gute Reputation, globale Präsenz sowie ein hohes Innovationspotenzial, erfordert Zeit und Geld. Auf Konsumgütermärkten sind derartige Vorteile bedeutsam für Kaufentscheidungen. Die Abnehmer revanchieren sich, indem sie den Anbietern solcher Vorteile einen Preisaufschlag zahlen oder bei der Ausschreibung von Aufträgen Vorteile spezifizieren, die nur dieses Unternehmen zu bieten hat. So konzentriert INTEL Corp., ein US-amerikanischer Hersteller von Mikroprozessoren, seine Marketingbemühungen darauf, dass Firmen-kunden die INTEL-Produkte in ihren Ausschreibungen erwähnen.

Nicht greifbare nicht-finanzielle Vorteile

Diese haben einen Wert, den weder die Verkäufer noch die Käufer quantifizieren – und schon gar nicht monetär erfassen – können. Kunden müssen solche Vorteile erst selbst erfahren haben, bevor sie deren Wert richtig zu schätzen wissen. Deshalb kommt ihnen erst dann entscheidende Bedeutung zu, wenn Unternehmen ihre Geschäftskunden halten wollen; bei der Neukundengewinnung spielen sie eine vergleichsweise geringe Rolle.

Bei der Akquisition müssen Unternehmen anstreben, die gleichen greifbaren finanziellen Vorteile zu bieten wie die Konkurrenz. Zugleich müssen sie aber auch greifbare nicht-finanzielle Vorteile offerieren, mit denen sie ihre Produkte abgrenzen können. Sie können Beziehungen anbahnen, indem sie das Augenmerk der Kunden von den greifbaren Vorteilen auf nicht greifbare nicht-finanzielle Vorteile lenken.

Als ein Beispiel sei hier Nokian Tyres genannt, ein auf schwere Baumaschinen für Bergwerke spezialisierter Reifenhersteller, der seine Kunden mit Produkten, die mehr leisten als die der Konkurrenz, umwirbt. Sobald Nokian Tyres einen Käufer gewonnen hat, bietet man kostenlose Serviceleistungen an, die beim Kunden die Betriebskosten reduzieren. Das Unternehmen prüft die Bedingungen in den Minen des Kunden, zieht Vergleichsdaten heran, um neue Verfahrensweisen vorschlagen zu können und stimmt das Reifenmaterial auf die jeweiligen Erfordernisse ab – dies alles, um dem Kunden die Kostensteuerung zu erleichtern.