Vertrauen war noch nie so wertvoll wie heute

Ist in diesen Zeiten ruinösen Wettbewerbs und gestiegener Einkaufsmacht die Ausrichtung noch sinnvoll und realistisch, dass ein vertrauensvolles Verhältnis zu Kunden sich längerfristig auszahlt? Um das Thema Vertrauen geht es in dieser Ausgabe.

Im August 1973 wurde im Zentrum von Stockholm eine Bank überfallen. Vier der Angestellten wurden als Geiseln genommen. Es folgten mehr als fünf Tage, in denen die Medien erstmals auch die Angst der Geiseln illustrierten. Dabei zeigte sich, dass die Gefangenen eine grössere Angst gegenüber der Polizei als gegenüber ihren Geiselnehmern entwickelten. Trotz ihrer Angst empfanden sie auch nach Beendigung der Geiselnahme keinen Hass gegenüber ihren Peinigern. Sie waren ihnen sogar dafür dankbar, freigelassen worden zu sein. Im Nachgang baten die Geiseln um Gnade für die Täter und besuchten diese sogar im Gefängnis.

Verschiedene Ursachen erklären das merkwürdig anmutende Verhalten und erlauben es, Parallelen zum Thema Vertrauen in Preisverhandlungen zu ziehen: So nehmen die Geiseln nur einen Teil der Gesamtsituation wahr. Die Opfer erleben zurückhaltende Einsatzkräfte vor Ort, sie fühlen sich mit zunehmender Dauer mit den Entführern allein gelassen. Dagegen wird das Agieren der Geiselnehmer überproportional wahrgenommen, schon kleinste Zugeständnisse (das Anbieten von Essen, auf die Toilette gehen lassen oder Lockern von Fesselungen) werden als grosse Erleichterungen empfunden. Man erfährt ausschliesslich «Gutes» von den Geiselnehmern.

Übertragen auf den Verkauf bedeutet dies: Auch der Verkauf nimmt selten die betriebswirtschaftlichen Erfordernisse des eigenen Unternehmens wahr. Die sind teilweise nicht transparent und die Auswirkungen auf den persönlichen Bereich werden nicht sauber dargestellt. Viel eher solidarisiert sich der Verkäufer deshalb mit seinen Kunden, zu denen er teilweise auch eine höhere Kontaktfrequenz als zu seinem Management hat. Die Herausforderungen des Kunden sind dem Mitarbeiter somit vertrauter, nachvollziehbarer als die Situation des eigenen Arbeitgebers. Auch deshalb fällt es leicht, sich mit dem Einkäufer zu «verbünden». Tatsächlich verbinden viele Verkäufer mit dem Preis zunächst negative Assoziationen und gewähren schnell Zugeständnisse, die für den Einkäufer wiederum ein Signal sind, dass noch mehr möglich ist. Verkäufer, die sich aus Angst mit dem Kunden solidarisieren, erzeugen kein Vertrauen, sondern Misstrauen!

In den vergangenen Jahren ist der Einkauf permanent wichtiger und professioneller geworden. Er steht heute für bedeutend mehr als das simple Beschaffen notwendiger Produkte und Dienstleistungen. Früher entschieden Fachabteilungen, der Einkauf verwaltete das Lager. Technische Spezifikationen rangierten vor kaufmännischen Aspekten. Mittlerweise sind aber zunehmend Einkaufsprofis im Einsatz, die nach zwei bis drei Jahren bewusst ausgetauscht werden, damit die Beziehungen zu den Lieferanten nicht zu eng werden und «neutral bleiben».

Zum einen sind sich die Unternehmen der erheblichen Hebelwirkung bewusst, die eine optimierte Beschaffung bietet. Zum anderen wissen sie um ihre Einkaufsmacht und nutzen sie gegenüber ihren Lieferanten aus. Preise werden mit Einkäufern oft nicht mehr verhandelt, sondern diktiert. Das Wohl eines Lieferanten hängt häufig von weniger als 20 Prozent seiner Kunden ab. Diese Abhängigkeit führt in Verhandlungen bei Verkäufern schnell zu einer gefährlichen Demut und Angst. Diese Entwicklungen lassen erahnen, wie schwierig es ist, die eigenen Vorstellungen zu Preisen und Konditionen durchzusetzen.

Will ein Verkäufer Vertrauen zu Einkäufern aufbauen, muss er zu allererst an sich selber und die Stärke des eigenen Unternehmens glauben. Er muss seine Persönlichkeit einbringen, Beziehungen aufbauen, ehrlich sein und auch mal Nein sagen können. Den Kunden erfolgreich höhere Preise zu erklären oder das Prinzip Leistung (z.B. Rabatte und Boni) für Gegenleistungen (z.B. bestimmte Abnahmemengen, Vertragsbindung) konsequent einzufordern, sind verkäuferische Herausforderungen, die neben fachlicher Qualifikation auch Selbstbewusstsein voraussetzen.

Viele Verkäufer wähnen sich in der Rolle des Schwächeren, die Macht liegt aus ihrer Sicht überwiegend beim Gesprächspartner. Selbstverständlich ist den Einkäufern diese Wahrnehmung bewusst. Sie spielen ihre Position knallhart aus und drohen unverblümt mit Lieferantenwechsel. Die Argumentation des Verkäufers wird nicht lauten „Wir erhöhen die Preise“, sondern „Die Firma will…“, „Mein Chef verlangt…“ Damit distanziert sich der Verkäufer aus Angst und Unsicherheit von seinem Arbeitgeber sowie seiner eigentlichen Aufgabe. Vertrauen ist und bleibt die wichtigste Basis für Beziehungen, entwickelt von professionellen, selbstbewussten Verkäufern, die als gleichwertige Partner auftreten.