Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt

Moderne Forschungsergebnisse zeigen, dass wir sehr viel lernfähiger sind und sich unser Gehirn sehr viel länger weiterentwickeln kann, als bisher angenommen wurde.
Um dieses Thema geht es in dieser Ausgabe.

Menschen werden mit unterschiedlichen Genen, Temperamenten und Fähigkeiten geboren. Prof. Dr. Carol Dweck von der Stanford University – deren Buch «Mindset» ich Ihnen wärmstens empfehle – hat in zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen, dass Erfahrung, Ausbildung und persönlicher Einsatz eine entscheidendere Rolle für das Selbstbild eines Menschen spielen. Wer hingegen meint, dass seine persönlichen Eigenschaften in Stein gemeisselt sind und damit an ein statisches Selbstbild glaubt,
der wird immer wieder das Bedürfnis spüren, sich beweisen zu müssen.

Viele Menschen wachsen mit einem statischen Selbstbild auf, so auch ich. Frau Kunz, meine Klassenlehrerin in der Primarschule, war felsenfest davon überzeugt, dass es ausreiche, den Intelligenzquotienten eines Menschen zu kennen, um ihn vollständig zu verstehen. Sie legte die Sitzordnung im Klassenzimmer nach dem IQ fest. Die Schüler mit den besten Werten erhielten die grösste Aufmerksamkeit und Unterstützung. Nur sie durften ihre Hausaufgaben präsentieren oder eine Rechnung an der Tafel lösen. Abgesehen von den Magenschmerzen, die sie mit ihren vernichtenden Kommentaren verursachte, bewirkte sie in uns eine innere Haltung: Wir wollten klug aussehen und nicht dumm. Welche Rolle spielte schon die Freude am Lernen, wenn mit jeder Prüfung und jeder Wortmeldung unsere gesamte Persönlichkeit auf dem Spiel stand?

In den Seminaren begegne ich Menschen, die nur dieses eine Ziel zu haben scheinen, sich selbst zu beweisen. In jeder Situation müssen sie ihre Intelligenz, ihre Persönlichkeit oder ihren Charakter unter Beweis stellen. Jede Situation wird bewertet: Werde ich Erfolg haben oder werde ich scheitern? Werde ich klug oder dumm aussehen? Komme ich gut oder schlecht an? Werde ich mich am Ende als Sieger oder als Verlierer fühlen?

Es existiert zum Glück noch ein anderes Selbstbild, das nicht einfach davon ausgeht, dass wir diese Eigenschaften bei der Geburt mitbekommen haben. Dieses dynamische Selbstbild geht davon aus, dass wir unsere Grundeigenschaften durch eigene Anstrengungen weiterentwickeln können. Auch wenn wir uns in tausenderlei Hinsicht, in Talenten, Eignungen, Interessen oder dem Temperament noch so sehr unterscheiden, wir alle können uns durch Einsatz und Erfahrung ein Leben lang verändern und weiterentwickeln!

Das soll nicht heissen, dass Menschen mit einem dynamischen Selbstbild der Ansicht sind, mit der richtigen Motivation und Methode könne jeder ein Albert Einstein oder ein Niels Bohr werden. Doch sie sind überzeugt, dass das wahre Potenzial eines Menschen nicht schon zu Beginn erkennbar ist und dass man nicht vorhersagen kann, was ein Mensch durch Jahre der Leidenschaft, Einsatz und Übung alles erreichen kann.

Der Glaube, dass wir bestimmte Fähigkeiten – wie zum Beispiel das Verkaufen – weiter-entwickeln können, weckt in uns die Lernbegeisterung. Warum sollen wir uns dauernd beweisen, wie grossartig wir sind, wenn wir noch besser werden können? Warum sollen wir unsere Schwächen verbergen, wenn wir sie überwinden können? Warum sollen wir uns nur mit Freunden und Partnern umgeben, die uns immer wieder bestätigen, statt mit solchen, die uns anspornen, uns weiterzuentwickeln? Warum immer nur die ausgetretenen Pfade gehen statt solche, mit denen wir unsere Grenzen überwinden?

Die Leidenschaft, Grenzen zu überwinden, auch dann noch, wenn nicht alles nach Plan läuft, ist das untrügliche Zeichen eines dynamischen Selbstbildes. Diese Grundein-stellung ermöglicht es jedem Menschen, sich gerade dann weiterzuentwickeln, wenn er vor grossen Herausforderungen steht. Deshalb rufe ich Ihnen zu: “Werde, was du noch nicht bist. Bleibe, was du jetzt schon bist. In diesem Bleiben und diesem Werden liegt doch alles Schöne hier auf Erden.“ Diese Gedanken will ich heute mit Ihnen teilen.