Wir sollten uns von uns nicht alles gefallen lasssen!

Wann sind Sie zum letzten Mal gescheitert? Woran? War es wirklich ein Scheitern oder bloss ein gewöhnlicher Misserfolg? Worin besteht der Unterschied? Diesen Fragen gehe ich in dieser Ausgabe nach.

Arbeiten Sie mit Aufgabenlisten? Wie oft kommt es vor, dass Sie alle Aufgaben bis am Abend erledigt haben? Sie schaffen das immer? Jeden zweiten Tag? Oder vielleicht einmal pro Woche? Wenn es Ihnen geht wie den meisten Menschen, so erledigen Sie gerade mal jeden 20. Tag eine komplette Aufgabenliste. Wir nehmen uns viel vor. Manchmal unrealistisch viel. Das wäre verzeihlich, wenn wir diese Planungsaufgabe erst seit kurzem ausführen würden. Doch Sie und ich machen ja diese Aufgabenlisten schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Also dürfte man annehmen, dass wir unsere Fähigkeiten, Dinge zu erledigen, nicht jeden Tag von neuem überschätzen. Das ist keine triviale Feststellung, denn auf anderen Gebieten lernen wir ja auch aus unseren Erfahrungen. Warum nicht beim Planen? Obwohl wir wissen, dass die meisten unserer früheren Prognosen zu optimistisch waren, glauben wir daran, dass sie dieses Mal realistisch sind. Die Lüge, mit der wir uns dann zu trösten versuchen, lautet: „Ich kann einfach nicht planen.“ Wir sollten uns von uns nicht alles gefallen lassen!

Scheitern assoziieren wir oft mit jenem tragischen Moment, in dem für alle Beteiligten klar wird, dass jemand sein Ziel verfehlt hat. Dies kann eine Kündigung des Arbeitgebers, die Scheidung des Ehepartners oder ein Sturz im Sport kurz vor der Ziellinie sein. Ob ein Ergebnis als Erfolg oder Misserfolg gewertet wird, ist nicht nur abhängig von scheinbar harten Fakten, sondern wird zu einem nicht unerheblichen Teil durch psychologisch wirksame Faktoren bestimmt. Jedes Urteil ist relativ.

Ein Bergsteiger, der den Gipfel auch beim zweiten Versuch nicht erklommen hat, dabei aber diesem deutlich näherkam als bei ersten Mal, wird sein Scheitern anders beurteilen als ein Aussenstehender. Wir sollten uns deshalb der Begrenztheit unseres Urteils bewusst zu sein. Dies gilt besonders dann, wenn es darum geht, die Ursachen des Scheiterns zu analysieren. Vielleicht herrschten beim zweiten Gipfelangriff deutlich schlechtere Wetterverhältnisse? Die Anerkennung dieser Urteilsrelativität kann hilfreich sein, um die Angst vor einem möglichen Scheitern zu reduzieren oder um zu verhindern, dass Scheitern zu Hoffnungslosigkeit oder gar zur Kapitulation führt.

Es steht ausser Zweifel, dass wir uns das Scheitern selbst erheblich erschweren können. Dies trifft insbesondere auf Situationen zu, in denen bei der Verfolgung eines Ziels unüber-sehbare Misserfolge auftreten. Hier besteht die Gefahr, dass ein hoher Rechtfertigungsdruck uns daran hindert, rechtzeitig von einem aussichtslosen Ziel abzulassen. Durchzuhalten, wenn es schwierig wird, muss also nicht unbedingt ein positives Zeichen von Willensstärke sein, sondern kann auch auf eine fehlende, persönliche Flexibilität hindeuten.

Ein Verkäufer, der wenig verkauft, wäre nur dann gescheitert, wenn er die gesamte Kontrolle über die erzielten Handlungsergebnisse hätte. Doch dies trifft kaum zu. Das Produkt kann qualitative Mängel aufweisen, die Marketingmassnahmen können sich als unwirksam erweisen oder das wirtschaftliche Umfeld kann das Kaufverhalten ungünstig beeinflussen. Diese Tatsachen spielen bei der Beurteilung beruflicher Leistungen auf allen Stufen eine zentrale Rolle.

Sir Winston Churchill wurde einst gebeten, an der Universität von Oxford einen Vortrag über die Ursachen seiner Erfolge zu halten. Die Menschen waren gespannt auf seine Geheimnisse. Churchill wartete einige Sekunden bis vollständige Stille im Raum herrschte und sagt dann: „The secret of my success is: I never ever gave up!” Anschliessend setzte er sich wieder auf seinen Platz und liess die verblüfften Zuschauer staunend zurück. Das war die kürzeste Rede, die je in Oxford gehalten wurde, aber es war sicherlich eine der merkWÜRDIGsten.