Die Tyrannei des Termindrucks

Ich freue mich, Ihnen nach 3 Wochen des süssen Nichtstuns an dieser Stelle wieder zu begegnen. Ich habe in dieser Zeit überhaupt nicht gearbeitet. Kein Konzept ausgedacht, keine Termine wahrgenommen oder Mails beantwortet. Herrlich! Nicht mal den Salespresso habe ich vorbereitet, und deshalb mute ich Ihnen ausnahmsweise eine veränderte Wiederholung einer Ausgabe zu. Ich wünsche Ihnen viel Spass bei der Lektüre!

Kommen zwei Menschen zusammen, nennt man das ein Treffen, einen Besuch. Kommen zwei Büromenschen zusammen, haben sie ein Meeting – und sie führen kein Gespräch, sondern sie haben eine Besprechung. „Herr Schmid ist in einer Besprechung“, vertröstet die Sekretärin den Anrufer, der mit ihm einen Termin koordinieren wollte.

Komplexer sind jene Termine, die erst angebahnt werden müssen. Da scheut der Mensch keinen Aufwand. Über viele Kanäle sucht er Zugang zu Leuten, die bestens zugänglich wären. Bei Bekannten fragt er nach der Telefonnummer, die auf der Webseite zu finden ist. In Wahrheit hofft er, auf jemanden zu stossen, der ihn bei der Zielperson empfehlen wird, um schneller und besser empfangen zu werden.

Wer einen Termin unbedingt braucht, sucht wie ein Bergsteiger nach dem kürzesten und deshalb schwierigsten Weg über alle Hindernisse hinweg, die da sind: die Assistentin, der volle Terminkalender, die Überheblichkeit gefragter Manager und der Umstand, dass sie nur zusagen, wenn sie sich vom Kontakt Vorteile versprechen. Sobald Geld oder persönliche Beziehungen winken, ist Freundlichkeit angesagt, und im Nu steht der Termin. Andernfalls lässt er sich leider nicht einrichten.

Der Jargon der Termingeber ist gerade deshalb so kühl, weil vergebliches Bitten eine hoch emotionale Sache sind. Statt höflich abzusagen, schweigen viele Angefragte. Den Bittsteller lassen sie schmoren, hinhalten, leiden, ins Leere laufen. Das ist die geschäftsmässige Art, Nein zu sagen. Will aber ein guter Kunde besucht werden, ist die Terminfrage keine Frage – als wären lauter weisse Seiten in der Agenda. Morgen? Übermorgen? Gerne! Um wie viel Uhr würde es Ihnen passen?

Schon an der Stimme der Assistentin lassen sich wichtige und eher lästige Termine unterscheiden. Sie schützt den Chef, indem sie seine prall gefüllte Agenda wie einen Riegel vorschiebt. Ob das Treffen zu Stande kommt, hängt weniger vom Pensum als von den Prioritäten ab. Eine gut geführte Agenda ist nichts anderes als eine Prioritätenordnung. Denn es gilt: Je zahlreicher, desto schlechter die Sitzungen. Bei manchem Manager ersetzen die Termine das Denken: Terminsucht als Denkflucht. Der Chef ist zwar beschäftigt, aber er arbeitet nicht – wegen der Termine.

Weil der Homo sapiens sowohl das Denken als auch das Arbeiten hasst, macht er noch mehr Termine. So mag sie oder er täglich ein Dutzend Treffen abspulen, doch daraus werden gewiss nicht Gespräche, die diesen Namen verdienen. Bei jedem neuen Besucher ist der Manager in seinen Gedanken noch beim vorangegangenen oder bereits bei dem nächstfolgenden Termin – und mimt Aufmerksamkeit.

Jeder kennt derlei Besprechungen, die des guten Gewissens wegen stattfinden. Bei diesen so genannten Pflichtterminen trifft der Büromensch andere Büromenschen, die er nicht treffen will, um über Dinge zu reden, über die er nicht reden möchte. Diese Art von Terminen macht selbst vor der Mittagspause nicht halt. Business Lunch nennen Managern den Trick, zwecks Zeitersparnis die Mittagspause zu nutzen, dass auch der Nachmittag verloren ist.

Terminwut kann tödlich sein. Einst war es das Vorrecht der Adligen gewesen, nichts zu tun. Heute aber ist es das wichtigste Statussymbol, zu viel zu tun. Wessen Agenda leer ist, der hat nicht etwa Glück, sondern Pech. Im schlimmsten Fall gesteht er verschämt, er habe noch ein paar Termine frei und gibt damit sich als Underdog zu erkennen.

Erfolgreich ist, wer keine Zeit für sich hat. Angesehen sind diejenigen, die von Termin zu Termin und auf den Flughäfen von Terminal zu Terminal hetzen. Seit der westliche Mensch nicht länger von Despoten unterdrückt wird, setzt er sich selbst unter Zwang: Die Tyrannei des Termindrucks liebt er, auch wenn er selbst dabei untergeht.

Planen Sie Ihre Zeit, sonst tun es andere für Sie. Ihre Interessen stehen dann mit Sicherheit nicht an erster Stelle.